Fachtagung 2024 „Abschiedskultur – psychische und systemische Auswirkungen abschreckender Flüchtlingspolitik“ im Landeshaus am 28.6.2024
Eine vollständige Dokumentation der Fachtagung finden Sie auf der Website der Landesbeauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen Schleswig-Holstein unter „Material“
Im Rahmen der diesjährigen Tagung im Kieler Landeshaus diskutierten Fachleute aus dem Gesundheitsbereich und der Flüchtlingshilfe Auswirkungen einer verminderten Gesundheitsversorgung für Geflüchtete und riefen die Politik zum Handeln auf.
Nach mehreren vorangegangenen Änderungen seines Bezugszeitraumes ist die Dauer, in der Asylbewerberinnen die eingeschränkten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, im Rahmen des Rückführungsverbesserungsgesetzes in diesem Jahr von 18 auf 36 Monate verdoppelt worden. Das bedeutet auch, dass viele körperliche und psychische Erkrankungen – darunter auch Traumafolgen – noch länger als bisher unbehandelt bleiben müssen. Denn das AsylbLG sieht für Leistungsempfängerinnen nur eine gesundheitliche Minimalversorgung und die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände vor. Für Vertreterinnen von Flüchtlingsorganisationen und psychosozialen Zentren sowie für viele Ärztinnen und Therapeutinnen ist eine Flüchtlingspolitik, die mit diesen Mitteln auf Abschreckung setzt, nicht tragbar. Sie verursacht sowohl individuelles Leid als auch Langzeitfolgen für das Gesundheitssystem.
resist – defend – protekt
Auf der Tagung „Abschiedskultur – Psychische und systemische Auswirkungen abschreckender Flüchtlingspolitik in der Gesundheitsversorgung“, die am 28. Juni im Kieler Landeshaus stattfand, kamen Fachleute aus Wissenschaft, Verwaltung und Praxis über die Gesundheitsversorgung von Geflüchteten ins Gespräch und tauschten sich über Unterstützungsmöglichkeiten und gemeinsame Strategien vor dem Hintergrund des verlängerten Bezugszeitraumes von Asylbewerberleistungen aus. Im Zentrum der Veranstaltung stand ein Vortrag der Referentin für Grundsatzfragen und Advocacy der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V., Jenny Baron. Sie beschrieb im Detail die Auswirkungen des Asylbewerberleistungsgesetzes auf die psychische Gesundheit von Geflüchteten und das Gesundheitssystem.
In seinem Grußwort hatte Michael Saitner, Geschäftsführender Vorstand des PARITÄTISCHEN Schleswig-Holstein, zuvor darauf hingewiesen, dass ein gravierendes Problem auch die unzureichende Finanzierung der psychosozialen Versorgung von traumatisierten Geflüchteten sei. „Einrichtungen und Träger sind seit Jahren von finanziellen Engpässen betroffen. Dadurch wandern Fachkräfte ab und auch die Nachbesetzung der Stellen gestaltet sich durch die oftmals einjährigen Arbeitsverträge extrem schwierig. Hinzu kommen späte Bewilligungen und Auszahlungen der Mittel, die für viele Träger eine zusätzliche finanzielle Hürde darstellen“, so Saitner.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, Luise Amtsberg, die anlässlich des Internationalen Tages zur Unterstützung der Opfer von Folter (26. Juni) die Schirmherrschaft für die diesjährige Veranstaltung übernommen hat, richtete sich in einer Videobotschaft an die Teilnehmerinnen. Sie sagte: „Das Verbot der Folter gilt absolut und ausnahmslos, denn es schützt den Kernbereich unserer unantastbaren Menschenwürde. Trotz der festen Verankerung des Folterverbots in unserer internationalen Menschenrechtsarchitektur bleibt Folter eine weltweit weit verbreitete grausame Praxis. Als Vertragsstaat der VN Anti-Folter-Konvention ist Deutschland verpflichtet, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um Folter und andere unmenschliche Behandlungen zu verhindern und Täterinnen zu bestrafen. Es ist unerlässlich, dass sich Deutschland weltweit für eine Durchsetzung des Folterverbots einsetzt, als Zufluchtsort Verantwortung für Folteropfer übernimmt und auch im eigenen Land sicherstellt, dass das Folterverbot immer, überall und für alle Menschen gilt.„
Im zweiten Teil der Tagung diskutierten die Teilnehmerinnen die Lage der Empfängerinnen von Asylbewerberleistungen in Schleswig-Holstein. Dr. Daniel Alvarez-Fischer vom Institut für Neurogenetik der Universität zu Lübeck stellte seine Studienergebnisse zur psychischen Gesundheit Geflüchteter in Lübecker Gemeinschaftsunterkünften vor. Dorothee Paulsen vom Vormundschaftsverein lifeline berichtete über die psychosoziale Versorgung von unbegleiteten Minderjährigen. Jasmin Azazmah stellte die Fördermöglichkeiten für die Behandlung von traumatisierten Geflüchteten durch die Refugio Stiftung Schleswig-Holstein vor. Anschließend diskutierten die Teilnehmerinnen der Tagung, moderiert von der Landesbeauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen, Doris Kratz-Hinrichsen, eigene professionelle Erfahrungen. Sie äußerten große Sorge über den Rechtsruck in der Flüchtlingspolitik, der zu langfristigen Belastungen für das Gesundheitssystem führe und auch die humanitäre Arbeit der Vereine und Verbände gefährde.
Die Ergebnisse der Tagung sollen im Nachgang als Forderungen an die Landespolitik herangetragen werden, denn bei ihr liegt die Verantwortung für die aktuelle Situation in der Gesundheits- und Sozialpolitik sowie den abnehmenden gesellschaftlichen Zusammenhalt.
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Hintergrund: Der PARITÄTISCHE Schleswig-Holstein und seine ehrenamtlich tätige Mitgliedsorganisation, die Refugio Stiftung Schleswig-Holstein, sowie die Landesbeauftragte für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen laden jährlich im zeitlichen Umfeld des Internationalen Tages zur Unterstützung der Opfer von Folter mit wechselnden Partnerorganisationen zu einer Tagung ein, die aktuelle Themen der Versorgung traumatisierter Geflüchteter in Schleswig-Holstein in den Blick nimmt. In diesem Jahr wird die Veranstaltung gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e. V. und lifeline, dem Vormundschaftsverein im Flüchtlingsrat, durchgeführt.
Fachtagung 2023: „Wie traumatisierte Geflüchtete Unterstützung in Behörden finden.“ Internationaler Gedenktag an die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen am 23.6.2023
An die 70 Fachkräfte aus Beratung, Therapie, Verwaltung und Politik waren am 23. Juni 2023 der Einladung des Beauftragen für Migration, Asyl und Zuwanderung des Landes Schleswig-Holstein, dem Referat „Migration und Flucht“ des Paritätischen Landesverbandes Schleswig-Holstein, des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein und der Refugio Stiftung Schleswig-Holstein ins Landeshaus in Kiel gefolgt, um ihre Erfahrungen mit traumatisierten Überlebenden von Folter, Krieg und Terror auszutauschen und zu diskutieren.
Nach den Grußworten des Landesbeauftragten und Schirmherrn der Tagung, Stefan Schmidt, und der Vorstandsvorsitzenden der Refugio Stiftung, Frau Dr. Jasmin Röhl-Azazmah, führte die Leiterin des Ambulanzzentrums im Zentrum für integrative Psychiatrie der Universitätsklinik in Kiel (ZIP), Frau Dr. Silja Knolle-Veentjer, mit einem informativen und anschaulichen Vortrag in die Thematik ein. Neben den hirnphysiologischen Vorgängen einer Traumatisierung, also einer Bedrohung, Gefahr oder Verzweiflung, die die Verarbeitungsmöglichkeiten einer Person überfordern, erläuterte sie ausführlich die daraus erwachsenden Folgeprobleme und -belastungen. Es verbleiben lebenslange (seelische) Narben und Verletzlichkeiten, die die sozialen Beziehungen, die Alltagsfunktionen und die berufliche Situation erheblich beeinträchtigen können. Unbewusst und unbehandelt können diese Narben plötzlich aufbrechen und zu einem sich selbst und andere verletzenden Verhalten führen, auch in Behörden zum Beispiel durch ein Missverständnis oder eine subjektiv empfundene Ungerechtigkeit. In der Institutsambulanz arbeitet das therapeutische Team an der Resilienz der betroffenen Personen – das heißt daran, eine Widerstandsfähigkeit zu entwickeln, die Funktionstüchtigkeit zu verbessern und sich von den traumatischen Erfahrungen zu erholen.
Anschließend lud der Moderator Anton Mikoleit (minc) alle Teilnehmenden zu einer Zeitreise in das Jahr 2027 ein. Im Stile des sogenannten „World-Café“ durften an vorbereiteten Tischen zum Thema „Wir sind im Jahr 2027. Bis zum Ende der Legislaturperiode wurde die Zuwanderungsverwaltung in Schleswig-Holstein erfolgreich modernisiert. Welche Merkmale hat sie, von der traumatisierte Geflüchtete profitieren?“ Ideen diskutiert und gesammelt werden. Eine abschließende Expertenrunde (Frau Dr. Knolle-Veentjer, Chris Reinert von der Stadtverwaltung Kiel, Axel Meixner, Jurist beim Flüchtlingsrat, und Frau Dittman-Weihs, Sozialarbeiterin der Traumaambulanz des ZIP) kommentierte die kreativen Ergebnisse der Tischrunden. Zum Abschluss bedankten sich der Moderator und Jasmin Azazmah bei den Gästen für die Teilnahme und zukunftsorientierte Mitarbeit. Und Saad Alsayed, der die Fachtagung musikalisch begleitete, zauberte noch paar wunderbare Klänge aus seiner Hand-Pan.
Hier finden Sie die Dokumentation der Fachtagung als Broschüre zum Download. Hier gibt es einen Link zur Bildergalerie!
Die Fachtagung wurde vom Offenen Kanal Schleswig-Holstein (OKSH) aufgezeichnet. Die Video-Dokumentation können Sie in 5 Teilen über die Links zum OKSH anschauen und downloaden:
- Teil 1: Grußworte (24:53 Min.)
- Teil 2: Referat Frau Dr. Silja Knolle-Veentjer, ZIP UKSH-Kiel (42:41 Min.)
- Teil 3: „World Café“ Diskussionsrunden der Teilnehmenden (39:17 Min.)
- Teil 4: Expertengepräch (32:43 Min.)
- Teil 5: Schlussworte und Abschied (12:43 Min.)
Fachtagung 2022: „Gewalt erleiden, überleben, verarbeiten“ – 35 Jahre Antifolterkonvention der Vereinten Nationen
Am Freitag, den 24. Juni 2022 versammelten sich an die 60 Fachleute zu einer Tagung im Landeshaus in Kiel zum Thema „Gewalt erleiden, überleben, verarbeiten“. Eingeladen hatten der Zuwanderungsbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, der Paritätische Landesverband Schleswig-Holstein, der Verband der psychosozialen Zentren „Die Brücke“ in Schleswig-Holstein und die Refugio Stiftung Schleswig-Holstein aus Anlass des internationalen Tages gegen Folter, den die Vereinten Nationen jährlich am 26. Juni ausrufen.
Die beiden Moderatorinnen, Jasmin Azazmah und Olga Pavlovych begrüßten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und führten dezent und souverän durch das Programm. Die junge Pianistin Sofia Semenina (Musikhochschule Lübeck) umrahmte die Wortbeiträge mit Sonaten von Brahms, Bruckner und Mozart. In ihren Grußworten sprachen Stefan Schmidt als Landesbeauftragter und Schirmherr der Fachtagung und Harald Möller im Namen der Veranstalter die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine an.
Stefan Schmidt hob die Dringlichkeit seiner Funktion seit 2015 hervor und skizzierte mit einigen Stichworten die Anforderungen an die neue Landesregierung. Er warnte vor einer Ungleichbehandlung aufgrund von Vorurteilen im Sinne von Geflüchteten 1. und 2. Klasse. Harald Möller betonte die Herausforderungen an die immer noch unsicher finanzierte Beratungsarbeit und die hohe Kompetenz der Mitarbeitenden. Zuvor hatte Ingrid Neitzel, Vorsitzende der Refugio Stiftung, in einem persönlichen Grußwort auf die insgesamt positive Entwicklung in der Asyl- und Geflüchtetenarbeit in Schleswig-Holstein hingewiesen. Es seien auch die hier anwesenden Personen, die diese Entwicklung angestoßen haben und heute weiter tragen.
Im ersten Hauptreferat sprach Fanny Dethloff, Pastorin und ehemalige Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, die Zeugenschaft an. Es sei nicht möglich, alle Menschen vor Folter, Krieg und Terror zu bewahren oder ihnen bei der Bewältigung zu helfen. Dann aber sei „Zeugin sein“ eine ebenso wichtige Aufgabe. Dazu gehöre auch das Aushalten von Schmerz und die Erkenntnis der eigenen Verstrickung, wie sie es bei der südafrikanischen Bewegung „Healing of Memories“ (https://healing-memories.org/) gelernt habe. Diese inzwischen multinationale Initiative des anglikanischen Priesters Michael Lapsley, der selber durch eine Briefbombe beide Hände verlor, bildet sogenannte „Familiengruppen“ als niedrigschwellige Psychoedukation von Opfern und Tätern von Gewalt und Terror. Diese Erzählgemeinschaften bieten sichere Räume, die zur Aufarbeitung und Heilung helfen. Das sei auch bei uns notwendig: so etwas wie angeleitete Selbsthilfegruppen, die eine solidarische Gemeinschaft auf Zeit bildeten, meinte die Referentin.
Im zweiten Hauptreferat zeichnete Dr. David Keller, Leiter der Fachstelle für besonders schutzbedürftige Geflüchtete im Berliner „Zentrum Überleben“, die Entstehung der gegenwärtigen Versorgungslandschaft für diese Gruppe von Geflüchteten nach. Von einem Behandlungszentrum für Folteropfer im Jahr 1992 entwickelten die engagierten Mitarbeiter*innen eine Versorgungsstruktur mit einer Tagesklinik in der Schlossparkklinik Charlottenburg und mit der Gründung einer Berufsfachschule schließlich das heutige „Zentrum Überleben“. Das Zentrum ist Träger einer Vielzahl von Angeboten und Einrichtungen für Geflüchtete, wie zum Beispiel ein Wohnverbund für Migrantinnen, eine Abteilung für Kinder und Jugendliche oder die Fachstelle für traumatisierte Geflüchtete.
Um die EU-Aufnahmerichtlinie umzusetzen und die Lebensbedingungen für Geflüchtete in Berlin allgemein zu verbessern, arbeitete das Zentrum mit weiteren Nichtregierungsorganisationen zusammen, und diese gründeten 2008 das BNS, das Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen. Belastet durch im Fluchtverlauf aufeinander folgende Traumatisierungen kommen bei den Klienten und Klientinnen des Netzwerkes und speziell der Fachstelle verschiedene Verletzungen und Schutzbedürfnisse zusammen, sodass der Informations-, Diagnostik- und Behandlungsbedarf in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat.
Im Anschluss an die Referate gab es lebhafte Diskussionen, in denen das Auditorium nach Wegen suchte, die gehörten Impulse in die eigene berufliche Praxis oder auf die kommunalen oder landesweiten Strukturen zu übertragen. Die Fachtagung endete mit einem Dank an alle Teilnehmenden und Mitwirkenden und einem stärkenden Imbiss aus der Küche des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Beim Abschied wurde mehrfach der Wunsch geäußert, im nächsten Jahr wiederzukommen.
Grußworte und Folien finden Sie zum Download unter folgenden Links
- Grußworte und Dokumetation der Fachtagung
- Referat Fanny Dethloff, Preetz
- Referat Dr. David Keller, Berlin
- Einladungsflyer
Fachtagung 2021 „Wegsehen als Programm?“ – Antifoltertag der Vereinten Nationen 25.6.2021
Am 25. Juni 2021 veranstalteten das Migrationsreferat des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und das Psychosoziale Zentrum „Die Brücke“ in Schleswig-Holstein eine Online-Fachtagung unter der Schrimherrschaft des Landesbeauftragen für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen und gefördert von der Refugio Stiftung Schleswig-Holstein anlässlich des 34. Jahrestages der Antifolter-Konvention der Vereinten Nationen am 26. Juni 2021. Die Veranstaltung zeigte die große Kluft zwischen dem Anspruch der Antifolter-Konvention der Vereinten Nationen – einschließlich ihrer nachfolgenden Dokumente – und der Wirklichkeit zum Beispiel an den europäischen Außengrenzen, eine Kluft, die bis in die tägliche Arbeit in Schleswig-Holstein hineinreicht.
Hier finden Sie die Dokumente und Folien der Fachtagung zum Download: